Der demografische Wandel ist jedem Menschen ein Begriff und jeder, der in einer Firma für die Besetzung von Stellen zuständig ist, schaut mit Furcht auf die kommenden Jahrzehnte. Denn lange dauert es nicht mehr, bis die „Boomer“, die so geburtenstarken Jahrgänge aus den 60er-Jahren, vom Arbeitsmarkt verschwinden. Genaue Zahlen sind an dieser Stelle nicht zu nennen, doch sprechen Quellen davon, dass nur rund die Hälfte der den Arbeitsmarkt verlassenden Menschen wieder durch junge Arbeitnehmer aufgefüllt werden kann. Zahlenrechnerei natürlich, doch definitiv alarmierend.
Und der Fachkräftemangel ist bereits im Jahre 2020 nicht neu. Viele Unternehmen suchen händeringend nach jungen und gut ausgebildeten Kräften. Das betrifft nicht nur etwa Handwerksberufe wie Fleischer, Elektriker oder Dachdecker, sondern auch die IT-Branche. Schließlich hat die Menschheit in diesem Bereich in den vergangenen Jahren rasante Fortschritte gemacht. Benötigte Arbeitskräfte können gar nicht schnell genug nachkommen, ganz davon abgesehen, dass sich in der Branche jährlich etwas ändert.
Jede Branche leidet allerdings unter dem Mangel von Arbeitskräften, weshalb mehr und mehr Unternehmen oder übergeordnete Institutionen Ideen entwickeln, wie sie möglichst früh auf sich aufmerksam machen können. Da ist beispielsweise die Automarke BMW. Diese benötigt Fachkräfte in verschiedensten Bereichen, vom Konstrukteur bis zum IT-Fachmann, und das aufgrund der Unternehmensgröße in nicht gerade geringen Zahlen. 1200 Ausbildungsplätze gilt es laut Pressesprecherin Martina Hatzel in der BMW-Group im Jahre 2021 zu besetzen. Um vor Mitbewerbern einen Schritt weiter zu sein, hat BMW im Juli eine Interview-Pressemitteilung verschickt, die sich vor allem an jene Bewerber richtet, die derzeit den Arbeitsmarkt für das kommende Jahr sondieren. Die verwendete Sprache gibt Einblick in den Grundgedanken hinter der ungewöhnlichen Pressemitteilung, denn die Fragen sind von einem potenziellen Bewerber formuliert.
In gut verständlicher und direkter Form erzählt BMW-Personaler Maximilian Mendius in dem Text vom Personalauswahlverfahren der BMW-Group, spricht Bewerber dabei direkt an: „Du findest alle verfügbaren Stellen im Internet auf unserer Karriereseite. Von dort kommst du direkt zum Online-Bewerbungssystem. Beim ersten Mal registrierst du dich mit deiner E-Mail-Adresse und ein paar grundsätzlichen Daten. Zusätzlich benötigen wir deinen Lebenslauf, dein Schulzeugnis und eventuell Antworten auf stellenspezifische Fragen. Ein Anschreiben brauchst du nicht. In fünf Minuten ist alles erledigt. Wir schauen uns ab Start der Bewerbungsphase die Bewerbungen an und laden zeitnah zu Auswahltagen ein. Es macht also Sinn, dich frühzeitig auf deinen Wunschberuf zu bewerben.“ Direkt in der zweiten Frage sagt Mendius: „In den Werken und in der Zentrale erhalten alle eine Übernahmegarantie.“ Ein nicht unwichtiges Versprechen, das sicherlich den ein oder anderen Suchenden mindestens auf die Stellenseite locken kann.
Mit der sehr unüblichen Pressemitteilung verfolgt BMW ganz offensichtlich ein klares Ziel, die Fragen an Mendius sind eher flapsig gestellt: „Mal ehrlich, habe ich ohne ‚Vitamin B‘ überhaupt Chancen auf einen Ausbildungsplatz bei der BMW-Group?“ Ganz klar, hier sollen dem Bewerber die grundlegenden Sorgen und möglicherweise die Angst vor dem Firmengiganten BMW genommen werden. Das verdeutlicht zudem Mendius’ Antwort: „Ja! Bei der BMW-Group hat jeder die Chance, eine passende Tätigkeit zu finden. Denn neben den Schulnoten ist bei uns ein Online-Test Bestandteil des Auswahlverfahrens. Mit diesem Test schauen wir, ob Bewerber zu uns passen. Das bedeutet: Auch wenn du durchschnittliche Noten hast, aber sehr gut im Test abschneidest, hast du bei der BMW-Group sehr gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz.“
Die Pressemitteilung geht weiterhin auf den genannten Test ein, ob Bewerbungen für spezielle Standorte möglich sind und auf eine besonders spannende Frage: „Können Sie mir einen Tipp geben, wie ich aus den vielen Bewerbern heraussteche?“ Sich nicht zu verstellen, lautet Mendius’ Antwort, durchatmen und offen von sich selbst erzählen. Eine unübliche Pressemitteilung, die wie angesprochen einen klaren Zweck hat.
Doch es geht noch direkter. Die IHK ist grundsätzlich darum bemüht, Ausbildungsplätze für die angehörigen Unternehmen zu besetzen, beziehungsweise diesen dabei zu helfen. Die IHK tritt dabei nun vermehrt in Schulen auf. Im März stellte der Vize-Präsident der Frankfurter IHK in der Gesamtschule Herder in Frankfurt am Main die Zukunftssäule vor, die bereits an 35 weiteren Standorten in Frankfurt und Deutschland zu finden ist. Mitten im Gang der Schule ist diese aufgestellt, strotzt vor bunten Flyern und einem großen Bildschirm, auf dem Werbeanzeigen für Ausbildungsplätze in ansprechender Form wechseln. Auch redaktionelle Inhalte werden auf dem Display gezeigt wie die Frage: „Was macht eigentlich ein/e Bankkaufmann/-frau?“. Während der Vorstellung der Säule betonten die Beteiligten deren erwiesenen Nutzen und legten kleinen und großen Betrieben ans Herz, Anzeigen in den Zukunftssäulen zu schalten.
Ebenfalls eine Idee der IHK Frankfurt ist das Speed-Dating für Unternehmen und Azubis, welches die Institution zwei Mal im Jahr veranstaltet. Der Gedanke ist einfach: Unternehmen präsentieren sich mit einem Stand, Bewerber können vor Ort ungezwungen erste Gespräche führen, sogar ihre Bewerbungsunterlagen direkt vorlegen oder von einem unabhängigen Trainer Tipps für die eigene Bewerbung erhalten. Das Konzept funktioniert, resümierte Florian Richterich, Leiter der Ausbildungsberatung der IHK vor Ort. Ungefähr jeder zweite Betrieb habe nach der Speed-Dating-Messe einen Auszubildenden mehr. „Man muss sich mal überlegen, was ein Bewerbungsprozess kostet. Es müssen Ausschreibungen gemacht werden, die Bewerbungen gesichtet, die Leute eingeladen werden“, zählt Richterich auf. „Ein bis zwei Personaler sind da eine ganze Weile beschäftigt. Hier können mehrere Gespräche an einem Tag geführt werden.“ Grundsätzlich sei die Situation für Betriebe, die nach Azubis suchen, derzeit eher schwierig: „Die verfügbaren Auszubildenden besetzen die verfügbaren Stellen eins zu eins. Das klingt erstmal nicht problematisch, aber die Auswahl ist dann das Problem.“ Deshalb sei es so wichtig Win-Win-Situationen zu schaffen wie es bei der Speed-Dating-Messe geschieht. Das spart Kosten, Zeit und Nerven für alle Beteiligten.
Und genau das haben alle drei beschriebenen Konzepte gemeinsam: Die Schaffung einer Win-Win-Situation für beide Seiten: Das BMW-Interview nimmt vielen zukünftigen Azubis sicherlich die Angst und beantwortet zugleich deren Fragen. Die Zukunftssäule sorgt bereits bei Schülern für Interesse und das Speed-Dating kann Abläufe erleichtern und Bewerbungsprozesse minimieren und angenehmer gestalten. Diese Konzepte scheinen effektiv und können den Mangel an Azubis zumindest etwas ausgleichen, was bedeutet, dass mit weiteren freien Ausbildungsplätzen künftig mehr von diesen Ideen benötigt werden. Hier sind Institutionen wie die IHK gefragt, doch auch Unternehmen an sich werden in Zukunft kreativere Ideen haben müssen.
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